Für den 16.09.23 rief der Bundesverband Lebensrecht, kurz BVL, zum 19. Mal zum sogenannten „Marsch für das Leben“ in Berlin und erstmals auch in Köln auf. Durch die beiden parallelen Veranstaltungen sollte das Potenzial der möglichen TeilnehmerInnen (1) voll ausgeschöpft werden.
Im BVL finden sich verschiedene, der sogenannten „Lebensschutzbewegung“ zugehörige, Organisationen zusammen. Der BVL sieht den Beginn des Lebens bei der Zeugung und positioniert sich gegen Schwangerschaftsabbrüche, die er pauschal als „Tötungen“ bezeichnet und strikt ablehnt. Der Dachverband setzt sich zudem auch gegen Praktiken der Sterbehilfe, Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein.
Zu den Mitgliedern gehören bspw. der Verein Aktion Lebensrecht für alle e.V., kurz ALfA. Dieser hat sich unter anderem auf Bildungs- und Beratungsarbeit gegen Schwangerschaftsabbrüche spezialisiert und vertritt hier eine klar ablehnende Haltung. Die zugehörige Jugendorganisation Jugend für das Leben war nicht unwesentlich an der Organisation des Marsches in Köln beteiligt. Durch die Teilnahme gerade junger Leute, versuchte sich die Veranstaltung einen hippen und modernen Anstrich zu geben. Auch die Christdemokraten für das Leben, kurz CDL, sind im BVL vertreten. Durch Lobbyarbeit versuchen sie auf die Gesetzgebungsverfahren und die öffentliche Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche einzuwirken. Bis 2018 waren sie eine offizielle Sonderorganisation der CDU, bis der Bundesvorstand und das Präsidium diesen Status entzogen haben. Dennoch gibt es noch enge Verbindungen, so schickte der CDU-Politiker und Mitglied des Deutschen Bundestages Volkmar Klein (Kreis Siegen-Wittgenstein) ein Grußwort zum „Marsch für das Leben“ nach Köln und auch die örtliche CDU zeigte ihre Sympathie, in dem sie zunächst zur Teilnahme an der Veranstaltung des Bundesverbands Lebensrecht aufrief. Susanne Wenzel, Vorsitzende der CDL, hielt am Samstag eine Rede, ebenso wie Paul Cullen, der Vorsitzende der Vereinigung Ärzte für das Leben, deren Forderung unter anderem eine Rezeptpflicht für die Pille danach ist. Ebenfalls in Köln anwesende Organisationen des BVL waren die Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren e. V. (KALEB), Sundays for life oder auch die Stiftung ja zum Leben. Auch der selbsternannte Unternehmer der Akademie für das Leben – Studio Godesberg und ehemalige BVL-Bundesvorsitzende Martin Lohmann nahm am Marsch in Köln teil. Er unterhält Verbindungen zur Alternative für Deutschland (AfD) und rechtskonservativen Zeitung Jungen Freiheit sowie zur Werte Union.
Neben den im BVL-organisierten Gruppierungen komplementierten AbtreibungsgegnerInnen jeder Colour: christlich motivierte Einzelpersonen, Bischöfe, konservative PolitikerInnen, katholische Tempelritter und extrem rechte AkteurInnen das Erscheinungsbild des Marsches. Über diesen Fakt konnten auch die vielen Luftballons, bunten Fähnchen und die poppige Musik, zu der jugendliche TeilnehmerInnen zum Ende hin noch eine Tanzeinlage boten, nicht hinwegtäuschen.
Hier wird einmal mehr deutlich, dass Antifeminismus eine gesellschaftliche Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und extremer Rechte einnimmt. So fanden sich unter den Teilnehmenden mehrere rechte Burschenschafter, darunter auch bekannte Neonazis wie Maximilian Hunze (Mitglied der Burschenschaft Germania Köln, der (neu)rechten Identitären Bewegung [IB], verurteilt wegen antisemitischem Angriff und Körperverletzung), Simon Thiele (Mitglied der Burschenschaft Raczeks zu Bonn und einer Nachfolgeorganisation der IB, Revolte Rheinland), Florian Köhl (Mitglied der Burschenschaft Praga Teutonia und der IB, sowie der Jugendorganisation der AfD Junge Alternative und stellvertretender Vorsitzender der AfD Düren) und Jeremy Franosch (Mitglied der Burschenschaft Rhenania Salingia zu Düsseldorf und als rechter Rapper aktiv).
Darüber hinaus kam es zu einem obskuren Auftritt der TFP Students Action, welche Gegendemonstrant*innen betend und mit dem Rosenkranz schwingend entgegentraten. Zwar mag es einigen schwer fallen, solche Auftritte ernst zu nehmen, doch der Einfluss der dahinterstehenden Interessenvertretung TFP (Tradition, Familie, Privateigentum) ist nicht zu unterschätzen. Es handelt sich hierbei um eine internationale, reaktionäre, schwerreiche und rechtskatholische Organisation, welche offen für mittelalterliche Zustände kämpft – inklusive einer Vormachtstellung des Adels.
Auch die AfD war beim „Marsch für das Leben“ in Köln vertreten. Neben dem TFP-Aktivisten Florian Köhl (AfD Düren), der zudem am 20.09.23 an einer TFP-Kundgebung gegen gleichgeschlechtliche Segnung vor dem Kölner Hauptbahnhof teilnahm, waren die stellvertretende Sprecherin des AfD-Kreisverbandes Köln und frauenpolitische Sprecherin Iris Dworeck-Danielowski, sowie Christer Cremer, Sprecher der AfD Köln vor Ort. Auch aus der Kreistagsfraktion Peine gab es eine Teilnahme an der Veranstaltung. Der Europaabgeordnete und Mitglied der Christen in der AfD Joachim Kuhs schickte ein Grußwort nach Berlin und Köln.
Die parteilose Oberbürgermeisterin Kölns, Henriette Reker, hingegen verurteilte den „Marsch für das Leben“ und war erfreut, „dass sich viele Kölner*innen dem entgegenstellen.“ Auch der Bund der Katholischen Jugend | Erzdiözese Köln positionierte sich gegen die Veranstaltung der AbtreibungsgegnerInnen. Zur Kritik veranlasse die „wiederkehrende frauenfeindliche Rhetorik“ und die fehlende Abgrenzung zum rechten Milieu. Darüber hinaus beobachten sie „[u]nter sogenannten christlichen Fundamentalist*innen […] antidemokratische und menschenfeindliche Einstellungen.“
Zwar war in Köln eine Demonstration vom Ort der Auftaktkundgebung am Heumarkt durch die Innenstadt geplant, doch den Teilnehmenden blieb nichts anderes übrig als dem Titel des von ihnen abgespielten Songs von Elton John „I’m still standig“ nachzukommen. Der Grund: Zahlreiche Gegendemonstrierende blockierten die vorgesehene Strecke. Zwar setzte sich der Marsch noch in Bewegung, allerdings wurde er nach wenigen Metern erneut gestoppt, da auch die Alternativroute blockiert wurde. Während die einen Frauen die „Verfügungsgewalt über ihren Körper und ihre Gesundheit nicht überlassen“ (OB Henriette Reker) und ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen fordern, machten sich die Proteste dagegen für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung stark und markierten das antifeministische und queerfeindliche Weltbild der Lebensschutzbewegung.
Dieser Text ist in Kooperation zwischen dem Projekt Spotlight – Antifeminismus erkennen und begegnen und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln entstanden.